36  Chiralität

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Wenn im Labor unter immensem Aufwand Aminosäuren und Zucker (die wichtigsten Bausteine des Lebens) hergestellt werden, so entstehen bei diesen Prozessen gleich viele linksdrehende wie rechtsdrehende Moleküle. Für den Bau von lebenden Zellen können jedoch fast nur linksdrehende Moleküle verwendet werden. Rechtsdrehende Moleküle wirken giftig auf die Zelle. Da bereits das Genom der einfachsten bekannten Lebensform aus etwa einer halben Million Bausteine besteht, ist das natürliche Aufeinandertreffen von ausreichend linksdrehenden Grundsubstanzen nicht vorstellbar.



Sowohl die Grundbausteine der Erbsubstanz als auch diejenigen der Proteine haben die Eigenschaft, dass sich ihr Bild und Spiegelbild wie die rechte und die linke Hand nicht zur Deckung bringen lassen. Diese Eigenschaft nennt man Chiralität.

Die Herstellung von chiralen Molekülen ist meistens sehr aufwendig und bedingt in jedem Fall das Vorhandensein von chiraler Information (z.B. von einem chiralen Katalysator). In jedem chemischen Prozess, bei dem Aminosäuren und Zucker aufgebaut werden, entstehen rechts- und linkshändige Moleküle zu gleichen Anteilen.

Vor der Entstehung des Lebens muss irgendwann die Entscheidung zugunsten von links- oder rechtsdrehenden Molekülen  gefallen sein. Auf der Ebene lebender Organismen stellt man sich vor, dass die Konkurrenz von Individuen und Arten zu Selektionsprozessen geführt haben könnte. Bei  einem Gemisch von Substanzen mit chemisch gleichem Energiegehalt beider Komponenten hingegen ist ein auf Konkurrenz basierender Selektionsprozess nicht denkbar (1).


Aminosäuren aus dem All?

Eine Erklärung dafür, wie es im Modell der Ursuppentheorie dazu kommen konnte, dass ausschliesslich linksdrehende Aminosäuren aufeinandertrafen, fand der Chemiker Ronald Breslow von der Columbia University in New York. Anlässlich eines Treffens der American Chemical Society in New Orleans berichtete er, dass Aminosäuren, die auf einem Meteoriten zur Erde gelangten, einer Strahlung ausgesetzt waren, die eher die rechtsdrehenden Aminosäuren zerstörte. So hätte ein Überschuss von linksdrehenden Aminosäuren entstehen können.

Nun konnten Breslow und seine Kollegen im Labor simulieren, wie sich links- und rechtsdrehende Aminosäuren beim Kristallisieren miteinander verbinden, sodass nur diejenigen Aminosäuren im Wasser gelöst zurückbleiben, die keinen Partner finden. Wenn der Komet mehr links- als rechtsdrehende Aminosäuren transportierte, konnte in einem solchen Prozess eine Lösung entstehen, die fast nur noch linksdrehende Aminosäuren enthielt (2). Allerdings kann man annehmen, dass ein geringfügiges Vorherrschen von links- oder rechtsdrehenden Aminosäuren in einer geologischen Umgebung schnell wieder aufgehoben wird (3).


Bakterien aus rechtsdrehenden Aminosäuren:

Da es auf der Erde einige wenige Bakterien gibt, die aus rechtsdrehenden Aminosäuren aufgebaut sind, müssten mindestens zwei unterschiedliche Kometen auf der Erde eingeschlagen sein. Dabei müssten zweimal alle 20 (!) verschiedenen Aminosäuren, die zum Bau einer lebenden Zelle notwendig sind, in ausreichender Menge entstanden sein.


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(1)  Junker und Scherer, Evolution, ein kritisches Lehrbuch, Weyel, 2006, S. 108.

(2)  Spiegel Online, Chemiker simulieren Siegeszug linksdrehender Moleküle, 7. April 2008, http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,545766,00.html

(3)  
K. Dose, Präbiotische Evolution und der Ursprung des Lebens, Chemie unserer Zeit 21, 1987, S. 177-185.



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